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Wo sind die Untergangspropheten, "Doomer" und Fatalisten?

„Ignorieren Sie die Schwarzmaler und Untergangspropheten. Dieser irregeleitete Glaube, dass es zu spät ist um zu handeln, wurde von der fossilen Brennstoffindustrie und ihren Interessenvertretern instrumentalisiert. Diese Art von Propaganda könnte inzwischen gefährlicher sein, als die Leugnung des Klimawandels selbst.“ Dies propagiert Michael E. Mann in seinem neuen und vielbeachteten Buch „Propagandaschlacht ums Klima“. In einem Interview in der britischen Tageszeitung The Guardian äußerte er sich diesebzüglich: "Was daran so schädlich ist, ist, dass es versucht, Umweltprogressive zu Waffen zu machen, die sonst an vorderster Front stehen und Veränderungen fordern würden. Dies sind Menschen mit guten Absichten und gutem Willen, aber sie werden desillusioniert oder deprimiert und verzweifeln. Aber „zu spät“-Erzählungen basieren ausnahmslos auf einem Missverständnis der Wissenschaft. Viele der prominenten Doomisten-Erzählungen – Jonathan Franzen, David Wallace-Wells, die Deep-Adaptation-Bewegung – lassen sich auf die falsche Vorstellung zurückführen, dass eine arktische Methanbombe eine durchschlagende Erwärmung verursachen und alles Leben auf der Erde innerhalb von 10 Jahren auslöschen wird. Dies ist völlig falsch. Es gibt keine Wissenschaft, die das unterstützt."
Ungeachtet dessen, dass diese undifferenzierte Pauschalisierung die Gefahr birgt, „Tausende von Aktivist*innen im Stich zu lassen, die gerade auch wegen eines erwarteten Kollapses motiviert sind, sich energisch für Veränderungen in den Bereichen Klima, Ökologie und soziale Gerechtigkeit einzusetzen“ und es für notwendig halten, „die Risiken einer gesellschaftlichen Beeinträchtigung oder eines Zusammenbruchs zu diskutieren“(1) und ungeachtet dessen, dass viele Klimawissenschaftler*innen das Scheitern der Bemühungen die Erderwärmung auf unter 2 Grad zu begrenzen für wesentlich wahrscheinlicher halten, als deren Erfolg (8), frage ich mich, wer diese Untergangspropheten eigentlich sind, vor denen Michael E. Mann** so eindringlich warnt.
Es scheint außerdem Einigkeit seitens der psychologischen Gemeinschaft und den Pressevertreter*innen darüber zu bestehen, Informationen über das Klima nicht so stark zu katastrophisieren, da nach deren Ansicht nämlich dann die Gefahr besteht, dass sich Menschen nicht mehr in der Lage sehen, überhaupt noch einen Beitrag zu leisten und sie dann ihrer Angst ausgeliefert seien bzw. in Fatalismus verfallen. (2,3) Ich möchte an dieser Stelle nicht explizit auf den aktuellen Forschungsstand (4,5) eingehen, was sowieso schwierig ist, weil solche Fragestellungen aktuell kaum erforscht werden, sondern weiterhin die Frage stellen, wer diese Fatalisten eigentlich sind.
Ich bewege mich nun seit fast zwei Jahren innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegungen und mir sind dort bisher keine Menschen begegnet, auf die diese Aussagen zutreffen könnten. Ferner ist mir auch kein Schriftstück begegnet, in dem irgendwer davon abrät, sich im Klimaschutz zu betätigen, weil dieser Kampf nicht mehr zu gewinnen sei. Im Gegenteil erlebe ich viele Menschen, die den Zusammenbruch für gestaltbar halten, die sich ein Leben nach dem Zusammenbruch, statt einer Apokalypse vorstellen können und die durch dieses Bewusstsein weiterhin aktiv bleiben oder dadurch erst aktiv geworden sind.
Wo und wer sind also diese Untergangspropheten und Schwarzmaler? Ich möchte die Theorie aufstellen, dass diese Menschengruppe überhaupt nicht real existiert, sondern eine Projektion der eigenen fatalistischen Anteile derer ist, die vor diesen Menschen vehement warnen. Dies schließt natürlich nicht aus, dass einzelne Exemplare dieser Spezies durchaus existieren mögen. Ich möchte behaupten, dass ein Großteil der Aktivist*innen diesen Fatalismus anteilig in sich tragen und in einer ständigen Auseinandersetzung damit befinden, die darin besteht, immer wieder neue Wege zu finden, sich selbst für den Kampf gegen die Klimaerwärmung zu motivieren. Ich beobachte weiterhin, dass es innerhalb der Klimabewegungen kaum Räume für einen emotionalen Austausch und auch kaum eine Reflexion darüber gibt. Dieses Alleingelassensein fördert die Entstehung unbewusster Abwehrstrategien, die für eine Kompensation schmerzlicher emotionaler Inhalte sorgen.
In der Psychologie wird Projektion als ein Abwehrmechanismus beschrieben, der die eigenen, unerträglichen Gefühle, Phantasien und Wünsche einem anderen Menschen oder Objekt zuschreibt und sie dort stellvertretend verfolgt und bekämpft. Mit diesem Mechanismus lassen sich mehrere Effekte erzielen, die das psychische Gleichgewicht wieder herstellen können und er trägt auch dazu bei, das eigene Selbstbild, also die eigene Identität zu schützen. Unbewusste Vorgänge erhalten in der Regel aber nur den Status quo und verhindern eine wirkliche Auseinandersetzung, Integration und somit Wachstum. Sie bergen auch die Gefahr, dass Individuen und Menschengruppen pauschal abgewertet werden.
Ich habe aber in diesem Zusammenhang auch noch einen anderen Mechanismus beobachtet. Die Psychologists for Future beraten Aktivist*innen im Rahmen folgender Grundregel: „Immer wenn angstmachende Fakten genannt werden, dann nennen wir Handlungsmöglichkeiten“. (6) Ich möchte es an dieser Stelle den Leser*innen überlassen, darüber nachzudenken, was sie eigentlich von Psychotherapeut*innen erwarten und ob sie sich in ihrer Verzweiflung von solchen gut abgeholt fühlen, die diesen Ansatz verfolgen. Ich schließe es natürlich nicht aus, das konkrete Handlungsoptionen in manchen Fällen hilfreich sein können. Eine vorschnelle Handlungsfokusierung weicht aber möglicherweise, wie im oben beschriebenen Fall einer tieferen Auseinandersetzung aus und verhindert die Suche nach wirklichen Handlungsoptionen. Ich möchte unabhängig davon die Theorie aufstellen, dass mit Hilfe dieser Regel in erster Linie, die Therapeut*innen vor ihren eigenen angstmachenden und unbearbeiteten Anteilen geschützt werden, die durch die Angst, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit der Klient*innen in ihnen ausgelöst wird. Es handelt sich also auch hier möglicherweise um eine Abwehrstrategie, die wie das Single-Action-Bias* nur zu einer kurzfristigen Entlastung führt.
Ich verstehe wirklich gut, wie schwer es sein kann, mit den Gefühlen umzugehen, die aufgrund der Klimakrise und den zu erwartenden Folgen in uns ausgelöst werden. Ich halte aber auch die Katastrophe und einen möglichen Zusammenbruch in Ansätzen für steuerbar und gestaltbar. Diese Möglichkeiten werden aber vergeben, wenn wir Kollapsbewusstsein und die mit einer tiefen Auseinandersetzung verbundenen Symptome (Verzweiflung, Angst, Hoffnungslosigkeit, Depression) pauschal als Fatalismus kennzeichnen und damit abwehren, denn "nur wenn wir über den Kollaps diskutieren, können wir uns vorbereiten."(7) Insofern scheinen die wirklichen Fatalisten und Schwarzmaler jene Menschen zu sein, die einer bewussten Auseinandersetzung mit katastrophalen Zukunftsszenarien komplett aus dem Weg gehen.

Ich möchte an dieser Stelle unbedingt den Artikel "Be Afraid! But not that afraid? - on Climate Doom" empfehlen, der die Rolle von "Doomisten" innerhalb der Klimabewegung weiter kritisch reflektiert.

* Eine einzelne Handlung, welche in keinem Verhältnis zur wirklichen Dimension des Problems steht, sorgt für emotionale Entlastung.

** Lesen Sie hierzu auch den Essay "Blocked on Twitter by Michael Mann" von Prof. Eliot Jacobson

Quellen:

(1,7,8) http://iflas.blogspot.com/2020/12/international-scholars-warning-on.html (abgerufen am 12.12.2020)

(2) Hamann, K; Baumann A; Löschinger D. (2016): Psychologie im Umweltschutz. München: Oekom Verlag.

(3) Hagedorn, Gregor (2020). Können wir durch die Strategien, mit denen wir die Mehrheit gewinnen wollen, den Erfolg gefährden? Unter: https://www.psychologistsforfuture.org/wp-content/uploads/2020/09/2020-08-22-Psycholog.Klimakrise-Gregor-Hagedorn.pdf (abgerufen am 09.01.2021)

(4) Tannenbaum, M.; et al. (2015): A Meta-Analysis of Fear Appeal Effectiveness and Theories. Unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5789790/ (abgerufen am 20.11.2020)

(5) https://jean-jaures.org/nos-productions/la-france-patrie-de-la-collapsologie (abgerufen am 20.03.2021)

(6) https://open.spotify.com/episode/4RrpyvtXp9STGvQA8W0tsq?si=ETn2ya5vRpmAEvVksU5_fA&utm_source=copy-link&nd=1 (abgerufen am 31.05.2021)

(8) Hamburg Climate Futures Outlook (2021): https://www.cliccs.uni-hamburg.de/de/about-cliccs/news/2021-news/2021-06-10-pm-outlook.html

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